Beratung · Forschung · Veröffentlichungen · Vorträge
Barbara Strohschein
Barbara Strohschein
Barbara Strohschein
Barbara Strohschein
Barbara Strohschein

Heimatlos – wertlos?

Ein ungelöstes globales Problem

27. Februar 2015 · 6 min. Lesezeit · Kategorie: Werte

Heimatlos – wertlos?

Eine Zukunftsperspektive: Integration nach der Emigration

Wieso nicht Sie, sondern die?

Stellen Sie sich vor, Sie müssten notgedrungen mit Ihrer Familie, Ihr Haus, Ihre Stadt, Ihr Land verlassen. Die Gründe: Keine Chance, eine Arbeit zu bekommen. Es herrscht Bürgerkrieg. Eine Naturkatastrophe hat Ihre Lebensräume zerstört.

Sehr viel Phantasie braucht man nicht, um zu begreifen, was das für die Menschen bedeutet, die dazu gezwungen sind. Sie sind ausgeliefert, erleben soziale und materielle Verluste, gehen in eine ungewisse Zukunft. So aber geht es bis heute Millionen von Menschen auf der ganzen Welt. Eine Völkerwanderung ist im Gange im großen Stil. Die Weltbevölkerung teilt sich dabei auf in zwei Gruppen: die Privilegierten, die in ihrem (in der Regel westlichen) Heimatland leben, und die Nicht-Privilegierten, die aus ihren Ländern auswandern resp. flüchten müssen.

Die einen haben die politische und ökonomische Macht, die anderen nicht. Wer um Asyl bittet, hat außer seiner Bitte um Aufnahme, nichts in der Hand. Wer durch Eigentum und Rechtsprechung über Macht verfügt, entscheidet über die, die nichts (mehr) haben, außer sich selbst. Dieses Ungleichgewicht der Machtverhältnisse schafft ungeheure und zunehmende Verteilungs- und Werte-Konflikte. Denn sind diejenigen, die die Bestimmungsmacht haben, mehr „wert“, als diejenigen, die ohne Macht um Asyl bitten müssen?

Wer sich nicht kennt, hasst alles Fremde

Vor einigen Jahren rief der Oberbürgermeister von Hamburg eine Reihe von Bürgerinnen und Bürger auf, Position gegen die Ausländerfeindlichkeit zu beziehen in einer großen öffentlichen Aktion.

Jede der ausgewählten Personen sollte einen Satz oder ein Symbol zu dem Thema auf einer Postkarte festhalten. Und diese Postkarten wurden in hoher Auflage gedruckt und in der ganzen Stadt verteilt. Ich schrieb auf die Postkarte einen Satz, der mich bis heute beschäftigt: Wer sich nicht kennt, hasst alles Fremde. Über diesen Satz habe ich mit vielen Bürgern in den öffentlichen Aktionen ausführlich diskutiert. Menschen, die sich ihrer Kultur und ihrer Privilegien nicht bewusst sind und gar sich selbst benachteiligt fühlen, können schwer oder gar nicht die Ausländer willkommen heißen. Hinter der Ablehnung der Fremden steckt die Angst vor dem „Unbekannten“ und vor möglichen Revierverletzungen. Was wollen die Ausländer? Was verlangen sie? Was muten sie uns zu? Was nehmen sie uns weg? Ihre Sitten sind nicht unsere Sitten!

Das ist nichts Neues: Fremde waren seit jeher und sind bis heute selten willkommen. Früher nannte man die Fremden „Barbaren“ – die Unzivilisierten. Es hat jedoch immer wieder Etappen in der Menschheitsgeschichte gegeben, in denen die Fremden willkommen waren. Fremde brachten Wissen, Waren und Nachrichten aus fernen Ländern. Das war zu Zeiten von Hochkulturen wie zum Beispiel der Renaissance der Fall. Durch den Austausch mit anderen Kulturen wurde die eigene Kultur in mehrfacher Weise bereichert. Die Offenheit für die Fremden beruhte auf einem Selbstbewusstsein und auf dem Stolz auf die eigene Kultur. Wer sich selbst schätzt und sich seiner selbst bewusst ist, heißt Fremde willkommen. Doch dies scheint eher eine Ausnahme zu sein. Und wie wir an der deutschen Geschichte sehen können, betrifft die Ablehnung von Emigranten seit jeher keineswegs nur diejenigen, die durch Armut und mangelnde Bildung benachteiligt sind.

Auch die Elite war und ist betroffen gewesen

Während meines Studiums der Philosophie lernte ich Karola Bloch kennen, Architektin, polnische Jüdin und die Frau von Ernst Bloch, dem berühmten Philosophen des „Prinzip Hoffnung“. Er lebte zu diesem Zeitpunkt leider nicht mehr. Karola Bloch und ich freundeten uns sehr an, und sie erzählte mir viel aus ihrem Leben. Wie oft sind die Blochs aufgebrochen, immer wieder zu einem Neuanfang gezwungen, immer verbunden mit großen Verlusten. Mit letzter Not entkamen sie 1937 dem Nazi-Deutschland. Einstein, Freud, Horkheimer – unter viele andere Intellektuelle, Künstler, Journalisten, jüdisch, links, politisch andersdenkend, traf dieses Schicksal auch. Das Leben in den USA war für die meisten mühsam und anstrengend. Nach dem Krieg wurde Bloch nach Leipzig auf eine Professur berufen, die Mitte der fünfziger Jahre jäh beendet wurde und das Paar Bloch 1963 dazu veranlasste, nach einem Urlaub in Österreich, nicht mehr in die DDR zurückzukehren und mit zwei Koffern in der Hand, in Tübingen neu anzufangen – in einem bereits fortgeschrittenen Alter. Wer wie Ernst Bloch hofft, Phantasie hat und erfüllt ist von seinem Werk, hatte es dennoch weitaus leichter als viele älteren und jungen Emigranten, die heute ihre Länder verlassen müssen. Welche Hoffnungen können sie haben, willkommen geheißen zu werden? Ohne Geld und Chancen, oftmals ohne Ausbildung, mit traumatischen Erlebnissen, ohne Lobby und ohne Fürsprecher? Welche Sinnerfahrungen können diese Emigranten in der Fremde machen?

Entgrenzung einerseits, grenzüberschreitendes Denken und Handeln andererseits

Auf dem Weltmarkt findet die Entgrenzung in jeder Hinsicht statt. In Bezug auf die Integration von Emigranten hingegen sind viele Grenzen noch zu überschreiten.

Der erste Schritt dazu wäre, ein neues Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Integration des Fremden, der Fremden nicht bedrohlich sein muss, sondern Chancen eröffnet für beide Seiten. Das wäre der Umkehrschluss, der auf einer einfachen Tatsache basiert: Jeder, der nicht willkommen geheißen wird, fühlt sich konsequenterweise entwertet. Entwertungen produzieren Enttäuschung. Wer enttäuscht ist, fühlt sich auch gedemütigt. Demütigung kann auch Wut und Gewalt erzeugen. Solche Gefühle verengen die Sichtweisen und erzeugen Negativ-Spiralen. Abwehr und Ablehnung auf der einen Seite, Depressionen und Frustrationen auf der anderen. Empathie und Anerkennung sind die Gegenmittel sowie ein Interesse an der „anderen“ Kultur, die ein gegenseitiges Verstehen eröffnet. Konkret bedeutet das, in Kontakt zu gehen, Akzeptanz zu zeigen, zu fördern und zu helfen. Das sind Aspekte, die sowohl in den persönlichen und sozialen Beziehungen eine Rolle spielen, als auch Aspekte für gesellschaftliche Maßnahmen einer umfassenden Integrationspolitik.

Es gibt zahlreiche Initiativen, wie zum Beispiel „Die Deutschlandstiftung. Integration“, in der der Social Media Experte Ibrahim Evsan im Vorstand engagiert ist. Hier wird genau dieser Weg gegangen: Integration durch Förderung und Ausbildung junger Emigranten. Der Weg jedoch ist noch weit und lang, um zwei notwendige Ziele zu erreichen: eine generelle öffentliche Akzeptanz für Ausländer zu schaffen und politisch wirksame Maßnahmen für ein fundierte und langfristige Integration in großem Ausmaß zu planen und umzusetzen, die von Wertschätzung getragen ist.