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Barbara Strohschein
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Werden im unverzichtbaren Internet die User entwertet?

Eine Frage der Datenethik.

02. Dezember 2014 · 41 min. Lesezeit · Kategorie: Datenethik & digitale Werte

Werden im unverzichtbaren Internet die User entwertet?

Werden im unverzichtbaren Internet die User entwertet? (1)

  • Warum brauchen wir Werte in sozialen Netzwerken?
  • Wie und warum finden Entwertungen in digitalen Systemen statt?
  • Was ist Ihnen wichtig und wertvoll?
  • Was sind Ihre Werte?
  • Wie fühlen Sie sich und was tun Sie, wenn Sie sich im Internet abgewertet fühlen?
  • Finden Sie es berechtigt, dass heute von einem Werteverfall die Rede ist?

Aus meiner Philosophischen Praxis: Ein Blick in die Welt der Werte und Entwertungen

Ich als Philosophin berate Klienten und forsche zu den Themen Werte und Entwertungen in meiner „Philosophischen Praxis für Werte cor amati“. Werte will jeder, unter Entwertungen leiden fast alle. Werte sind nicht abstrakt. Sie spielen im Umgang miteinander eine wesentliche Rolle, auch wenn dies oft nicht bewusst ist. Unterschiedliche Werte-Vorstellungen verursachen Konflikte. Entwertungen finden leider fortwährend statt: Menschen werten sich selbst und andere ab. Auch Dienstleistungen, Produkte, Meinungen werden abgewertet. Und es gibt Entwertungen durch ungelöste Rechtsfragen oder Rechtsüberschreitungen, durch Überwachung und Intransparenz. Werte und Entwertungen sind somit nicht nur ein persönliches, sondern auch ein brisantes gesellschaftliches und politisches Thema.

Über diese Themen schreibe ich als Philosophin für Werte ein Buch unter dem Titel: „Die gekränkte Gesellschaft. Das Leiden an Entwertung und das Glück durch Anerkennung. Eine philosophische Anleitung“. Im Frühjahr 2015 wird es im Verlag Randomhouse/Riemann Verlag erscheinen.

In diesem Beitrag mit fünf Abschnitten interessiert mich, welche latenten oder offensichtlichen Ab-und Entwertungen in digitalen Systemen(2) stattfinden und welche Werte gelten und gelten können.

(I) Was sind Werte und Entwertungen?
(II) Wie tragen rechtliche Probleme, Intransparenz, Ausnutzung von Daten und mangelnde Information zur Entwertung bei?
(III) Welche technologischen Lösungen werden für mehr Datenschutz entwickelt?
(IV) Um welche Werte und Entwertungen geht es im Netz?
(V) Welche Commitments (Datenethik) brauchen wir, um Werte zu leben und Entwertungen zu vermeiden?

I Werte und Entwertungen

Was sind Werte?

Die Werte, die ich hier meine, sind soziale Werte, weder Messwerte noch materielle Werte. Unter Werten ist hier zweierlei zu verstehen: Tugenden und Ideale. Jede/jeder hat Tugenden und Ideale, die ihr/ihm wichtig sind.

Tugenden sind z.B. Fleiß, Höflichkeit, Zuverlässigkeit, Anständigkeit, Fairness, Ordentlichkeit. Diese Tugenden werden in Familie und Erziehung vermittelt (oder auch nicht) und sind wichtig für ein funktionierendes Gemeinwesen, wenn sie mit Idealen wie Menschlichkeit, Selbstverwirklichung und Solidarität verbunden sind, sowie mit der Ermöglichung von Kreativität. Tugenden lassen sich überprüfen. Man merkt, wenn jemand nicht höflich, nicht ordentlich und nicht zuverlässig ist, wenn sich jemand unanständig und unfair verhält.

Treffen nun Menschen aufeinander, denen verschiedene Werte wichtig sind, liegt der Konflikt auf der Hand. Dem einen ist es wichtig, zuverlässig und pünktlich zu sein. Ein anderer meint, es käme mehr darauf an, kreativ zu sein, statt immer exakt Termine einzuhalten. Der eine meint, höflich zu sein, sei spießig und manchmal sogar verlogen, weil mit Höflichkeit vermieden wird, offen miteinander zu reden. Der andere ist der Ansicht, unhöflich zu sein bedeutet, vor anderen Menschen keinen Respekt zu haben.

Ideale sind weit abstrakter, aber deshalb keineswegs weniger wichtig. Ideale sind handlungsleitend und gefühlsbestimmend. Jemand, der das Ideal „Gerechtigkeit“ für wichtig hält, wird andere Entscheidungen in seinem Leben treffen, als jemand, dem das Ideal „Reichtum“ wichtig ist. Jede Gesellschaft hat Idealvorstellungen, die gelten. Heute erscheinen die Ideale „Freiheit“, „Perfektion“ und „Reichtum“ erstrebenswert und sind von vielen Menschen verinnerlicht. In den Zeiten, in denen die Religion eine große Rolle spielte, waren es die Ideale von „Gehorsamkeit“, „Frömmigkeit“ und „Demut“, die im sozialen Leben zählten. Ideale zu haben und ideal zu leben ist zweierlei. Ideale garantieren keineswegs auch ein ideales Leben oder gar richtige Entscheidungen. Infolge der Idealen der Französischen Revolution „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ sind nicht nur dem Adel die Privilegien abgesprochen worden, sondern viele Köpfe gerollt. Ideale beinhalten die Vorstellungen von dem, was als „richtig“ und „wichtig“ angesehen wird, ohne dass dies ein „ideales Handeln“ gewährleistet. Ideale sind Orientierungsbilder, an denen sich Menschen ausrichten, gleich, ob dies bewusst ist oder nicht. Obgleich jeder Menschen sich Tugenden wünscht und danach lebt und persönliche Ideale hat, heißt das noch lange nicht, dass diese „Werte“ auch bewusst sind und reflektiert werden. Einfach deshalb, weil sie so selbstverständlich sind und Ausdruck unserer Kultur sind.

Was sind Entwertungen?

Entwertungen finden auf verschiedenen Ebenen statt:

  • In der Beziehung zu sich selbst (Selbstabwertung).
  • In den Beziehungen zwischen Menschen (in sozialen Gemeinschaften).
  • In digitalen Systemen, in denen Rechte und Interessen nicht geachtet werden. (Z.B. durch Rechtsprobleme, unkontrollierte Nutzung von Daten, durch Überwachung, durch Intransparenz)

Die Selbstabwertung wird natürlich nicht mitgeteilt. Sie ist tabuisiert. Wer sich selbst abwertet, kann dazu neigen, andere abzuwerten, um wenigsten auf diese Weise sich etwas mächtiger und wirkungsvoller zu erleben.

Die Entwertung in Beziehungen geschehen dann, wenn in sozialen Netzwerken jemand beleidigt, unfair kritisiert, heruntermacht oder massiv angegriffen wird. Das geschieht nicht nur direkt und persönlich, sondern häufig anonym, mit berufsschädigenden Folgen. Das nennt man dann Cyberwar oder „neudeutsch“ Shitstorm.

Die Entwertung in den digitalen Systemen findet indirekt statt, z.B. dadurch, dass den Usern direkt oder indirekt Rechte abgesprochen werden, dass Vorgänge überwacht und Daten ausgenutzt werden für ökonomische und politische Zwecke.

Wer nichts von diesen Entwertungen mitkriegt, kann sich auch nicht dagegen wehren.

II Wie tragen rechtliche Probleme, Intransparenz, Ausnutzung von Daten und mangelnde Information zur Entwertung bei?

Latente Abwertung durch ungeklärte Rechtsfragen

Die gegenwärtigen Rechts-Diskussionen um den Datenschutz machen deutlich, wie viele Probleme weder im Blickfeld noch gelöst sind. Es gibt ein Hin und Her: Wie viel Kontrolle und wie viel Freiheit brauchen die digitalen Systeme? Wer bestimmt darüber in welchem Interesse? Wer scheut sich warum, verbindlich zu entscheiden?

Auf diese Thematik habe ich als Expertin für Werte-Analyse und Philosophin für Werte bereits in meinen Beiträgen über Wertephilosophie in digitalen Systemen hingewiesen. Um einen Bogen zwischen den Werteaspekten und der gegenwärtigen Rechtsdiskussion zu ziehen, zitiere ich exemplarisch aus aktuellen Beiträgen zu diesem Thema:

Unter der Überschrift: „Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür: Innenministerium stellt sich stur beim IT-Sicherheitsgesetz“, schreibt Stephan Krempl:

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hält an seinem Plan zum Erhöhen der Sicherheit informationstechnischer Systeme trotz Kritik von vielen Seiten fest. Das Innenressort hat Mitte der Woche einen neuen Referentenentwurf für ein IT-Sicherheitsgesetz an die Bundesländer und kommunale Spitzenverbände versandt. Aufschlussreicher als der eigentliche Text, der nur an einigen Stellen kleinere Änderungen im Vergleich zum ersten Anlauf im August enthält, ist dabei das Begleitschreiben. Erstmals verweist Markus Dürig, Leiter des zuständigen Referats im Hause de Maizières, in dem heise online vorliegenden Brief auf das mögliche Problem einer „neuen Form von Vorratsdatenspeicherung“, die mit dem Vorhaben verknüpft sein könne. Vor allem deswegen weist er ausdrücklich darauf hin, dass der Vorstoß „innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgestimmt ist“. Im Kern des Streits innerhalb des Kabinetts steht die Frage der Datenspeicherung: Ob und in welchem Umfang und für welche Dauer müssen Anbieter von Telemedien einschließlich Webseiten-Betreiber zur Abwehr von Angriffen auf die zugrunde liegenden IT-Systeme Nutzungsdaten erheben und verwenden? Das Innenministerium hält hier an einem geplanten Zusatz zu Paragraph 15 Telemediengesetz (TMG) fest. Demnach dürften Diensteanbieter Nutzungsdaten, die zur Abwehr einer ‚Beeinträchtigung für die Verfügbarkeit, Vertraulichkeit oder Integrität‘ eigener Systeme oder die der Surfer nötig sind, bis zu sechs Monaten aufbewahren. Betroffene sollen über das Erheben und Verwenden ihrer personenbezogenen Informationen zu unterrichten sein. Für „andere Zwecke“ seien die Nutzungsdaten nicht zu verwenden.“

Doch reicht dieser Zusatz? Offensichtlich nicht. Denn:

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung wittert in der Passage eine ‚verdachtslose Aufzeichnung des Surfverhaltens‘ der Netzbürger, bei der sogar Inhalte sechs Monate archiviert und ausgewertet werden dürften. Dies gehe noch über die frühere Speicherung von Verbindungs- und Standortdaten hinaus, die das Bundesverfassungsgericht gekippt hat.

Die Bürgerrechtler monieren weiter, dass de Maizière Zugangsanbieter durch die Hintertür zwingen wolle, auf Vorrat zu speichern, welcher Teilnehmer wann mit welcher IP-Adresse das Internet verwendet hat. Hintergrund sei, dass Provider ihre Kunden von Hinweisen auf Schadsoftware auf ihrem Rechner benachrichtigen müssten. Dies setze das Aufbewahren von Internetkennungen voraus. Diese wären für Auskünfte an Polizei, Bundeskriminalamt, Geheimdienste sowie zum Versand von Abmahnungen an die Unterhaltungsindustrie heranziehbar. Eine richterliche Anordnung staatlicher Anfragen nach der Identität von Internetnutzern wäre ebenso wenig vorgeschrieben wie eine Beschränkung auf schwere Straftaten.“

So ist hier im Weiteren von einer „umstrittene Regelung“ die Rede. „Angesichts des neuen Entwurfs warnt auch der Verein Digitale Gesellschaft, dass das Innenministerium weiter versuche, „uns eine neue Vorratsdatenspeicherung verbunden mit den Voraussetzungen für Netzsperren und einer privatisierten Rechtsdurchsetzung für Provider unterzujubeln“. Der Entwurf eröffne implizit die Möglichkeit, Nutzer vom Netzzugang auszuschließen, da es auch um das „Beseitigen von Missbrauch“ gehe. (Quelle: Heise online, 6.11.2014, Stefan Krempl: Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür: Innenministerium stellt sich stur beim IT-Sicherheitsgesetz)

Wer die Debatte über die Rechtslage weiter verfolgen will, hat zahlreiche Möglichkeiten über verschiedene Internetforen. Fazit zunächst ist: Es wird viel gewollt, vieles hängt in der Luft, viele Fragen sind offen. Das Deuten und Kommentieren der Gesetzesvorlagen hilft wenig, wenn sich nur Experten daran beteiligen oder User, die mit Achselzucken oder aggressiven verbalen Akten auf diese Rechtsdebatten reagieren. Die Informationen über die Gesetzeslage müssten gebündelt, vereinfacht und allen Usern direkt zugänglich gemacht werden, mit dem Ziel, durch gezielte gemeinsame Einflussnahmen Rechtsansprüche aller zu sichern. Das wäre ein Weg, auf dem „Werte“ wie z.B. „Kompetenz“ und „Verantwortung“ durch Information, durch Klarheit mit ethischen Zielen verwirklicht werden könnten.

Verletzung der Persönlichkeitsrechte durch Abgreifen von Daten

Wer Daten abgreift, um sie für ökonomische Zwecke oder für die Überwachung zu nutzen, verfügt über persönliches „Eigentum“, verletzt die Persönlichkeitsrechte und übt Macht aus. Durch diese Verwertung von Daten findet indirekt eine Abwertung statt: Die Betroffenen werden nicht gefragt, nicht informiert, d.h. sie werden einfach übergangen. Sie werden nicht als handelnde und eigenständige Subjekte gesehen, sondern als verfügbare und ahnungslose Objekte. Dies geschieht nicht nur im Abgreifen von Daten, die den individuellen Konsum betreffen, sondern auch im großen Stil. Wie akut dies ist, sehen wir beispielhaft an dem folgenden Zitat von Friedhelm Greis aus seinem Beitrag vom 6.11.2014 unter dem Titel: „DE-CIX Wie sich der Internetknoten Frankfurt abhören lässt“:

„Die Spekulationen sind so alt wie die NSA-Affäre selbst. Kaum hatten die Enthüllungen Edward Snowdens begonnen, gab es Berichte, wonach auch der Frankfurter Internetknoten DE-CIX von den Geheimdiensten abgehorcht würde. Dass der weltweit größte Internetknoten ein attraktives Ausspähziel darstellt, ist ebenso einleuchtend, wie die tatsächliche Überwachung offiziell unbestätigt ist. Was häufig übersehen wird: Über den DE-CIX läuft nur ein kleiner Teil des deutschen Internettraffics. Selbst in Frankfurt am Main gibt es genügend andere Zugriffspunkte für den Bundesnachrichtendienst (BND) oder die NSA. Dass eine solche Alternative neben dem DE-CIX beispielsweise für die Operation Eikonal genutzt wurde, deutet die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses an.

Wie intensiv in Frankfurt mit Daten gearbeitet wird, zeigt ein Blick auf die Seiten von Datacentermap.com. Dort werden derzeit 48 Rechenzentren von rund 30 Anbietern innerhalb der Stadt und im nahen Umkreis gelistet. Das sind mehr als in Hamburg, Berlin und München zusammen. Laut einer Studie vom Mai 2014 gilt Frankfurt als die Stadt mit der höchsten Rechenzentrumsdichte in Kontinentaleuropa. Die sieben Rechenzentren von Interxion sind gemessen an der Zahl der Connectivity-Partner die größten in Europa. Mit mehr als 300 Partnern liegen sie noch vor Telehouse London mit rund 260 und den vier Frankfurter Equinix-Rechenzentren mit rund 180 Kunden. Weitere wichtige Anbieter am Main sind die Deutsche Telekom, Level 3, Telecity und Colt. Untereinander sind die Rechenzentren mit Glasfaserleitungen verschiedener Anbieter verbunden. Neben dem DE-CIX sind in Frankfurt noch die Internetknoten Ecix, Kleyrex, NetIX, Interlan (Rumänien), Ocix und DataIX (Russland) präsent. Für Geheimdienste gäbe es daher reichlich Möglichkeiten, Daten abzugreifen. Die Frage ist nur, wo und bei welchem Anbieter.“Quelle: Golem IT News für Profis, 6.11. 2014.

Diese Beispiele zeigen, wie komplex die Problematik ist und wie wenig die anstehenden Probleme gelöst sind. Der einzelne hat keine Macht und keine Möglichkeiten, sich zu wehren. Wirksam wäre es, wenn sehr viele Institutionen wie auch einzelne User genau über diese Vorgänge informiert wären, sich zusammenschließen und mit der Hilfe von Experten um ihre Rechte kämpfen. Ein illusionäres Ziel, weil die Machtfrage längst entschieden ist?

Unfreiwillige Abwertung durch Unwissenheit

Generell gilt: Wer informiert ist, hat einen Überblick über rechtsrelevante und technische Sachverhalte und kann Position beziehen. Aber wer hat – in Bezug auf die digitalen Systeme – die Zeit dafür – außer den Experten, die sich Tag und Nacht mit dem digitalen System beschäftigen?

Die Rechtslage ist kompliziert und ungeklärt. Die technologischen Entwicklungen kann ein Nicht-Experte kaum übersehen. Es geht noch weiter: Selbst die einfachsten Begriffe aus der Internet-Terminologie sind vielen Usern nicht geläufig. Das ist niemandem vorzuwerfen. Wir können ja – nicht nur in dieser Hinsicht – kaum mit der Informationsflut fertig werden. So ist es kein Wunder, dass das Internet ein System ist, das täglich genutzt wird und eben nicht täglich in seinen Vor-und Nachteilen auf dem Prüfstand steht. So entsteht ein Dilemma, das auf einen einfachen Nenner gebracht werden kann: Wissen bedeutet Macht. Nicht-Wissen bedeutet Machtlosigkeit.

Wer sich informieren will, braucht Zeit und muß über Expertenwissen verfügen. Aber wer hat die Zeit und den Überblick und den Einblick? Wer hingegen keinen Durchblick hat, wird über den Tisch gezogen. Doch wer will sich gerne über den Tisch ziehen lassen? Selbst wer meint, er habe nichts zu verbergen, ärgert sich über die aufdringlichen Werbeangebote, mit denen er nach irgendeiner seiner Recherchen im Internet bombardiert wird. Das ist der schwache Vorschein einer viel weitgreifenden Datennutzung, die noch folgen wird.

Dieses Dilemma beginnt also viel früher als angenommen, nämlich schon in der Art und Weise, wie mit dem Internet umgegangen wird. Das beschreibt Judith Horchert unter dem Titel: „Deutsche im Netz: Ahnungslos, aber selbstsicher“ in Spiegel online:

„Die meisten Deutschen nutzen das Internet, aber nicht jeder kennt sich damit aus. Fast 77 Prozent der Bürger haben einen Internetzugang, im Vergleich zum Vorjahr hat sich da kaum etwas getan. Die Mehrheit geht nach eigenen Angaben online, um sich zu informieren, einzukaufen oder Videos anzusehen. Aber darüber hinaus wissen viele nur wenig Bescheid. Grundlegende Begriffe und Funktionen sind vielen Bürgern gar nicht bekannt. Und viele sind offenbar der Meinung, sie verstünden weit mehr von Internetsicherheit, als dies tatsächlich der Fall ist.“

Das zeigt der sogenannte (N)Onliner-Atlas der Initiative D21, der seit 2001 jährlich erscheint und ein aktuelles Bild davon geben soll, wie viele der Deutschen das Netz nutzen – und was sie dort tun. Laut der repräsentativen Umfrage gehen die meisten Menschen immer noch mit dem Desktop-PC ins Netz (62 Prozent), gefolgt vom Laptop (59 Prozent). Erst danach folgen mobile Geräte wie Smartphones (53 Prozent) und Tablets (28 Prozent). Bei Tablets ist der Zuwachs enorm: Der Prozentsatz ist mehr als doppelt so hoch wie im Vorjahr“.

Horchert zitiert eine Umfrage, die Aufschluss darüber geben soll, wie User mit dem Netz umgehen: „Dazu wurden unter andere bestimmte Begriffe abgefragt, die Teilnehmer sollten sagen, welche sie davon erklären könnten. Mit Anti-Viren-Software konnten die meisten etwas anfangen (76 Prozent), auch die Wörter Homepage und soziale Netzwerke sind den meisten geläufig (jeweils mehr als 70 Prozent). Doch schon den Begriff Cloud konnten nach eigenen Angaben nur 43 Prozent der Befragten erklären. Was Cookies sind, wusste auch nicht einmal die Hälfte. Gerade einmal 30 Prozent der Deutschen wissen, was unter LTE zu verstehen ist, und mit dem Internet der Dinge können nur die wenigsten etwas anfangen (7 Prozent). Um diesen Wert zumindest ein bisschen zu verbessern, werden alle abgefragten Begriffe am Ende dieses Textes einmal kurz erklärt….“

Aus den Befragungen wurde ersichtlich, dass immerhin heute weit mehr User über Anti-Viren Programme Bescheid wissen und sie nutzen, als dies bis vor kurzem noch der Fall war. Weit weniger User würden die Möglichkeiten nutzen, anonym zu surfen. Doch zu diesem Thema gibt es unterschiedliche Aussagen, je nach Befragung. „Was ist den Usern wichtiger“? Fragt Horchert am Ende ihres Beitrages:“‚Einfachheit oder Sicherheit‘?“ Auf diese Frage antworteten „… nur neun Prozent mit ‚Einfachheit‘. 91 Prozent gaben an, Sicherheit sei ihnen wichtiger, auch wenn das Benutzen von Computern dann etwas komplizierter wird. Auch das spricht gegen jede Erfahrung und gegen den unaufhaltsamen Siegeszug einfacher Geräte und Programme, die jeder sofort bedienen kann, oft auch auf Kosten der Sicherheit. Eins aber zeigen die Befunde des (N)Onliner-Atlas auf jeden Fall: Das Bewusstsein für Sicherheitsthemen wächst – auch wenn zu vermuten ist, dass das tatsächliche Wissen dem noch hinterherhinkt. Quelle: Spiegel online Judith Horchert, 5.11.2014)

III Welche technologischen Lösungen werden für mehr Datenschutz entwickelt?

Informationstechnologische Modelle zur Verteidigung der User-Rechte – ein Kampf gegen Entwertung?

Einen Weg gegen die Übergriffe von Internetkonzernen auf die Privatsphäre der User beschreibt der Autor Lars Sobiraj, indem er über Netzwerk-Anbieter berichtet, die technologische Lösungen aufgrund der Kritik an den herrschenden Ausnutzungssystemen anbieten. Dazu erzählt Sobiraj zunächst eine Geschichte:

„Der Comic von geek & poke ging um die ganze Welt. Zwei Hausschweine unterhalten sich völlig begeistert über ihren Aufenthaltsort. Den Stall könne man umsonst benutzen. Und sogar das Essen wird einem kostenlos frei Haus geliefert. Der freundliche Schweinehirte des 21. Jahrhunderts wäre folglich Mark Zuckerberg. Im digitalen Schweinestall bespaßt er uns nicht einmal, das müssen wir gegenseitig tun. Für den Aufenthalt im ‚sozialen” Netzwerk‘ werden wir mit Anzeigen, Spieleanfragen und gesponserten Pinnwandeinträgen bombardiert. Zudem wird unser Nutzungsverhalten analysiert und an Firmen verkauft. Auch Twitter zeigt nun auf der Suche nach Erlösmodellen mehr Werbung an. Dort soll jetzt auch ein Algorithmus zum Einsatz kommen. Wir dürfen nicht mehr selbst entscheiden was für uns wichtig ist, das erledigt eine mathematische Formel für uns. Bislang wurden bei Twitter wahllos alle Tweets unserer Kontakte angezeigt, das soll bereits vorbei sein. Auch sollen Mitteilungen von Personen angezeigt werden, denen wir gar nicht folgen. Immerhin haben wir im Gegensatz zu den Hausschweinen die Möglichkeit, frei über unseren Aufenthaltsort zu entscheiden. Oder etwa nicht?“

Warum es wichtig ist, dass neue Netzwerke geschaffen werden, die diese Problematik vermeiden, erklärt der Autor. „Soziale Netzwerke gibt es wie Sand an Meer. Momentan beherrschen aber nur eine Handvoll aber den Markt. Dies soll sich nun ändern. Bei sozialen Netzwerken gilt der Spruch: Wenn Du es umsonst bekommst, bist Du nicht der Anwender, sondern das Produkt, was verkauft wird. An der Richtigkeit dieser Aussage hat sich in den letzten Jahren nichts geändert, im Gegenteil!

Reddit, Ello & Co. wollen weg von dieser Prämisse. Sie wollen allen Besuchern ein selbst bestimmtes Dasein ohne Haken und Ösen ermöglichen. Wenn weder unsere Daten noch die Online-Werbung vermarktet werden darf, fallen alle gängigen Geschäftsmodelle weg. Womit wollen die Betreiber ihre Kosten decken?“

Offensichtlich haben der Autor und bestimmte Netzwerkanbieter auf diese Frage eine Antwort: „Auch Gideon Rosenblatt von The Vital Edge findet, es muss nicht immer Facebook sein. Ello bietet beispielsweise ein Freemium-Modell an. Alle grundlegenden Optionen gibt es umsonst. Für ein spezielles Aussehen der eigenen Seite oder ausgefuchste Analyse-Daten muss man bezahlen. Ähnlich funktioniert auch WordPress, wo der Blog umsonst ist aber besonders leistungsfähige Plugins oder Themes zum Verkauf angeboten werden. Ob es mit Ello klappt, wird die Zeit zeigen. Immerhin wurde den Surfern versprochen, dass sie dort nicht zum Produkt gemacht werden. Die Nutzung der Daten oder die Anzeige von Online-Anzeigen ist bei Ello schlichtweg untersagt. Auf Dauer soll Ello in eine Stiftung oder einen gemeinnützigen Verein umgewandelt werden, um die Sicherheit der Daten zu gewährleisten. Bisher basiert dieses Projekt auf Geldern von Venture-Kapitalgebern.

Tsu zwischen Schneeball- und Pyramiden-System

Bei Tsu (Sue ausgesprochen) sollen die Erträge an die Benutzer gezahlt werden. Das Unternehmen hat sich nach eigenen Angaben auf die Durchführung von Geldtransfers spezialisiert. Wer bei Tsu Postings verfasst, die Likes, Shares oder Kommentare generiert oder neue Nutzer anlockt, erhält einen gewissen Anteil. 10% behalten die Betreiber, 45% gehen an die Nutzer. Tsu funktioniert dabei nach dem berüchtigten Schneeballsystem. In der Folge erhalten die Nutzer den höchsten Anteil, die die meisten neuen Anwender angelockt haben. Diese Hierarchie wird dort als “Familienbaum” (family tree) bezeichnet. Das Pyramiden-System wird zwar durch gegensätzliche Regelungen teilweise ausgehebelt. Trotzdem ist zu befürchten, dass einige Anwender dabei auf dumme Ideen kommen könnten. Es geht schließlich um Geld. Wer bei Tsu mit legalen Mitteln arbeitet, wird dabei nicht rein. Die Nutzer an den Werbeeinnahmen zu beteiligen soll vor allem für ein schnelles Wachstum dieses Netzwerks sorgen. Es bleibt abzuwarten, ob dieses monetäre System den Betreibern nicht über kurz oder lang auf die Füße fallen wird. Nicht jeder lebt den amerikanischen Traum und will so viel Geld wie möglich verdienen. Viele Menschen haben ganz andere Prioritäten. Oder aber sie bemerken schnell, dass sie bei Tsu trotz ihrer intensiven Bemühungen aufgrund der Beteiligung ihrer Anwerber und deren Anwerber keine hohen Umsätze generieren können.

Synereo vereint Diaspora mit Bitcoin-Technologie

Ganz anders funktioniert das dezentrale Netzwerk synereo. Vom Aufbau her erinnert dieser neue Ansatz an die unzähligen Zugangspunkte (Pods) von Diaspora. Technikaffine User können eigene Server aufziehen und ihre Nutzer mit denen der anderen Zugangspunkte verknüpfen. Das System ist absolut zensurresistent und verhindert zuverlässig, dass die eigenen Daten in fremde Hände geraten. Obwohl Diaspora vom Aussehen stark an frühere Versionen von Facebook erinnert und die Benutzung selbsterklärend ist, konnte sich diese Struktur bisher nicht durchsetzen. Im Gegensatz zu Diaspora gibt es bei synereo für jeden Account einen Gradmesser. Wer besonders viel Aufmerksamkeit generieren kann, dessen Wert gemessen in “Reo” steigt an. Geplant ist auch eine virtuelle Währung, die auf Bitcoin-Technologie aufsetzen soll. Auch hier sollen die Nutzer in Heller und Pfennig an ihrer Aktivität verdienen. Wer sich vor der offiziellen Eröffnung schon jetzt registrieren will, kann dies hier tun.

Reddit will Community belohnen

50 Millionen US-Dollar erhielt kürzlich der Betreiber von Reddit. Zehn Prozent der 50 Millionen Dollar sollen demnächst an die Community ausgezahlt werden. Wie das im Detail ablaufen soll, ist aber noch unklar. Laut Reddit-CEO Yishan Wong ist eine Cryptowährung denkbar, die die Community-Mitglieder in direkte Anteile umwandeln können. Die bisherigen Investoren haben den Plänen bereits zugestimmt. Die frühe Planungsphase ist aber noch nicht abgeschlossen. Auf jeden Fall würde diese Aktion bewirken, dass die aktivsten Reddit-Nutzer künftig direkt am Erfolg ihrer Plattform beteiligt werden.

Reveal mit eigener Cryptowährung

Auch das neue soziale Netzwerk Reveal kommt mit einer eigenen Cryptowährung daher. Wer Dritte zu einer Anmeldung, zum Lesen der eigenen Beiträge oder sogar zu einer Aktivität motivieren kann, wird mit so genannten Reveal Coins belohnt. Die Betreiber werben damit, dass ihre App vor allem für mehr Fairness im Web sorgen soll. Man wird sehen, ob sich die neuen Ideen durchsetzen können. Vielleicht werden sie auch von einem der führenden Schweinezüchter übernommen.

Nicht vergessen: Die machen uns tagtäglich aufs Neue vor, dass sie jetzt und für immer kostenlos bleiben werden. Quelle: www.netzpiloten
Lars Sobiraj geht davon aus, dass von synereo, Tsu oder Reveal sicher noch kein Leser gehört habe, hofft aber, dass sich dies angeblich bald ändern soll. Ello und vor allem der Social News Aggregator Reddit seien weitaus bekannter. Sie alle würden den Nutzern ein „neues Erlebnis“ bieten. Das Ziel: „Wir sollen künftig nicht mehr nur die Ausgenutzten sein, deren Daten verkauft werden.“

Neue Werte durch neue technologische Modelle?

Man könnte sagen, dass man hier „Werten“ wie „Transparenz“, „Verantwortung“ und „Teilhabe“ entsprechen will, die den Interessen der User gerecht werden. User sollen auf diese Weise erfahren, was wie mit den Daten geschieht und können sich dazu verhalten, weil sie darüber informiert werden. Sie werden ökonomisch beteiligt.

Transparenz – im Sinne von umfassender Information – Beteiligung und Teilhabe erweitern die zweifellos die Handlungsspielräume und schützen vor Ausnutzung. Das allerdings sind werthaltige Ziele bzw. Qualitäten, die den Interessen von großen Internet-Konzernen, wie so oft beklagt und kritisiert, entgegen stehen. Es ist – wie auch der Autor Sobiraj anmerkt – offen, wann diese für die User gut eingerichteten „Ställe“ von Schweinezüchtern übernommen werden, die flugs all das elimieren, was im Interesse dieser „Werteorientierung“ wichtig war.

Dass durch technologische Lösungen eine weitaus größere Selbstbestimmung in den sozialen Netzwerken erreicht werden kann, darauf hat der Social-Media-Experte Ibrahim Evsan in mehreren seiner Beiträge hingewiesen. Er selbst betont darüber hinaus, dass gerade die sozialen Netzwerke eine Werteorientierung dringend brauchen. Nicht nur in der Präsentation derjenigen, die sich und ihre Ideen und Angebote im Internet darstellen, sondern auch in der Kommunikation insgesamt.

IV Um welche Werte und Entwertungen geht es im Netz?

Die Sorgen der User

Technologische Möglichkeiten allein lösen natürlich das Werte-Problem im Internet nicht. Eine bereits bestehende verbindliche Rechtsordnung in Sachen Datenverwendung gibt es bis jetzt nicht, weder auf der nationalen noch auf der internationalen Ebene. Werte stehen bisher nicht im Mittelpunkt der digital relevanten Diskurse. Entwertungen ebenso nicht. Wie relevant das Werte-Problem ist, zeigt sich an den Sorgen und Befürchtungen der User mit dem Internet. Jeder wünscht sich Sicherheit und Respekt im Internet. Niemand möchte mißachtet (entwertet) werden.

Die Experten für digitale Systeme machen immer wieder die Erfahrung, dass User, die sich im Internet präsentieren wollen, „nervös“ werden, wenn sie das Gefühl haben, nicht selbstbestimmt im Internet „handeln“ zu können. Sie befürchten, das Zepter aus der Hand zu geben und möglichen Angriffen „ausgeliefert“ zu sein. Viele nicht „technikaffine User“ müssen immer wieder feststellen, wie wenig Ahnung sie haben, was das Gefühl von Unsicherheit noch verstärkt. Umso wichtiger ist der Rat und das know how von vertrauenswürdigen Experten.

Diese Sorgen korrelieren mit den Ängsten vor Entwertungen. Die Entwertungen drohen durch persönliche unfaire Kritik und anonyme hämische Kommentare, die für alle sichtbar werden. Hinzu kommt, dass sich User in ihren Persönlichkeitsrechten missachtet (entwertet) fühlen. Niemand weiß genau, wie und welche Daten von wem gespeichert und zu welchen Zwecken verwendet werden. Dass Daten gesammelt und genutzt werden, ist längst klar.

Wer sich auf diesen drei Ebenen persönlich, anonym und durch systeminhärente Fakten ab- und entwertet fühlt, wird misstrauisch. Man fühlt sich ohnmächtig und ausgenutzt. Es wundert nicht, dass diese Hilflosigkeit auch wütend macht. Wie soll man sich wehren – gegen die Intransparenz, gegen das „Verwertetwerden“? Oder auch gegen persönlich direkte oder anonyme Angriffe?

Eine Reaktion auf diese Ohnmacht ist: Man schlägt zurück, auch, in dem man andere User angreift. Zurückschlagen wirkt wie ein Ventil.

Dieser Grundmechanismus tritt ein: Wer sich selbst ab- oder entwertet fühlt, wertet andere UND ANDERES. Dieser Vorgang geschieht nicht nur im Internet, sondern im Alltag, in der Gesellschaft, in unserer gesamten Kultur. In Bezug auf die Kommunikation in sozialen Netzwerken entsteht hier eine fatale Strukturdynamik, die nicht nur erhitzte Debatten auslöst, sondern sich wie Ab- und Aufwertungsschaukel darstellt. Diejenigen, die abgewertet werden, sind „unten“ und werten sich auf, in dem sie andere abwerten, um wieder „oben“ zu sein. Abgesehen davon gibt es aber auch ein weiteres Machtgefälle, ohne ein Auf- und Ab. Die scheinbar „machtlosen User“ stehen den „machtvollen Internet-Giganten“ gegenüber.

Das Sammeln von Daten, um Realität und Menschen transparent zu machen?

Ich als Philosophin und Expertin für Werte und Entwertungen habe ich mich oft gefragt, wie dieser heutige Drang nach Transparenz zu erklären wäre. Drei Aspekte sind hier meiner Meinung nach in Betracht zu ziehen:

1. Transparenz erreichen zu wollen, korrespondiert mit Erkenntniswillen: Wenn wir wissen, was „die Welt im Innersten zusammenhält“ und wie Gesellschaft funktioniert und wie Menschen „ticken“, können wir die immer komplexer werdende, unberechenbare Welt besser verstehen und bestenfalls steuern. Nicht nur das: größeres Zusammenhänge zwischen individuellen und gesellschaftlichen Entwicklungen, zwischen Mensch und Natur wären (sind) dann erfassbar. Durch Datensammeln und Interpretieren lassen sich Katastrophen vorhersehen und eventuell vermeiden. Dieser Erkenntniswille ist der Wissenschaft geschuldet.

2. Transparenz als Machtmittel: Auf der Basis von mathematisch verarbeiteten Daten läßt sich bis zu einem gewissen Grad soziale Realität abbilden, die dann wieder aufgrund des datengenerierten Wissens für bestimmte Zwecke auch partiell „manipuliert“ werden kann. Dieses Wissen ist jedoch nur wenigen zugänglich, für wenige verfügbar. Je nach Macht- und Interessenslage wird es genutzt und verwendet. Wie dieses Wissen angewendet wird, bleibt für die Masse jedoch intransparent.

3. Transparenz im Kontrast zur Intransparenz: Datenwissen verschafft Einblicke, aus denen einige wenige in Bezug auf viele gravierende Entscheidungen treffen. Wie das Datenwissen angewendet und verwendet wird, bleibt der Masse verborgen. Humane Aspekte spielen bei solchen Interessenslagen keine Rolle.

Wer die Daten hat, kann verfügen und entscheiden. Im Fall von Krankheits-Diagnosen, in Notfällen, in Versicherungsfragen, in Rechtsfragen usw. usw. Das Entscheiden und Verfügen geht einher mit Bestrafen und Belohnen. Einfaches Beispiel: Wer nachgewiesen regelmäßig Sport treibt, bekommt Rabatte in der Krankenversicherung, wer es lieber bequem hat, dem wird die Versicherungssumme erhöht.

Datensammeln bedeutet, über Wissen und Macht zu verfügen. Erst einmal so gesehen – an sich kein Problem. Mal abgesehen davon, dass Menschen seit jeher Macht über Menschen ausüben, wage ich mal zwei Fragen zu stellen:

1. Welcher Antrieb steht hinter diesem „Wissenwollen“ und „Macht haben wollen“? Abgesehen davon, dass sich NIEMAND gern ohnmächtig fühlt, ist Machtwille allgemein menschlich. Warum nun Macht durch Datensammeln? Dies nur allein auf den technologischen Fortschritt zurückzuführen, wäre zu kurz gegriffen. Ich meine, dass Angst und Unsicherheit eine große Rolle spielen. Die unüberschaubare Realität, die unberechenbaren angstmachenden Ereignisse durch Einbrüche auf dem Finanzmarkt, durch zunehmenden Umweltkatastrophen, die nicht in den Griff zu kriegenden Kriege und Bürgerkriegen auf der ganzen Welt, Seuchengefahren, Überbevölkerungsprobleme, zunehmende Armut, die immer mehr werdenden Flüchtlinge, die keineswegs überall willkommen sind – all das schafft neben der technologischen Siegesgewissheit eine Angst- und Weltuntergangsstimmung. Wird eine vermeintliche „Sicherheit“ geschaffen durch Datensammeln in einer immer gefährlich erscheinenden, unsicherer werdenden Welt?

2. Welche Illusion liegt hinter dem Datensammeln und dem verführerischen Bild vom „gläsernen Menschen“ und dem Erfassen der Realität durch Algorithmen? Es ist doch eine fixe Idee, dass durch Daten jemals etwas oder ein Mensch „komplett“ abbildbar und damit erfassbar wäre. Das ist genauso irrig, als wenn man annehmen würde, unsere Welt würde sich komplett und eins zu eins durch Sprache oder Zahlen abbilden lassen. Durch Algorithmen läßt sich in Einzelschritten ein Problem lösen, ein Aspekt, ein Zusammenhang mathematisch erfassen. Aber bildet ein Algorithmus etwas vollständig ab? Wohl kaum. Rein theoretisch können Algorithmen alle Vorgänge widerspiegeln, aber an diese perfekte Identität zwischen Algorithmen und Realität ist noch niemand herangekommen – nach meinem Wissen. Und nach Meinung von hochkarätigen Physikern. In einer „Datenontologie“ – ein Begriff von Ibrahim Evsan – könnte man sich langfristig und nicht nur technologisch ausgerichtet mit der Frage befassen: Was bilden Daten ab und was nicht? Wo liegen die Grenzen, wo die Möglichkeiten? Und wie ist mit Daten verantwortlich und human umzugehen – mit welchen Zielen?

Lebendige „Systeme“, wie der Mensch, sind weder vollständig abbildbar noch komplett prognostizierbar. Und damit auch nicht vollends manipulierbar, auch wenn die Visionen von Cyberborg diese Einwände außer Kraft zu setzen scheinen.

Die Unberechenbarkeit von lebendigen Systemen nicht zu akzeptieren, bedeutet in gewisser Hinsicht menschliche Hybris. Das Idealbild vom „gläsernen Menschen“ enthält meiner Ansicht nach auch eine Respektlosigkeit dem Subjekt Mensch gegenüber. Der Mensch wird betrachtet, als wäre er eine total überschaubare und berechenbare Maschine.

Ist das nicht ein völlig veraltetes Menschenbild aus dem Maschinenzeitalter, der industriellen Revolution des vorletzten und letzten Jahrhunderts? Wenn man davon ausgeht, dass Menschen komplett berechenbar und manipulierbar wären, müsste man über „den Menschen“ weit mehr wissen. Aber zum einen gibt es „den Menschen“ nicht, um zum anderen hat die Berechenbarkeit allen Lebendigen seine Grenzen. So wünschenswert es wäre, über den „Faktor“ Mensch sehr viel mehr zu wissen, so fatal ist es, den Menschen zu reduzieren und zu funktionalisieren als eine berechenbare und manipulierbare Maschine. Oder gibt es jemanden, der sich das – für sich selbst – wünscht?

V Welche Commitments (Datenethik) brauchen wir, um Werte zu leben und Entwertungen zu vermeiden?

Werte leben

In unserer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft wird aus gutem Grund darauf gepocht, dass jede/jeder sich im Rahmen von Anstand und Gesetz äußern und verhalten kann, wie sie/er es für richtig hält. Diese Freiheit, so wichtig sie ist, ermöglicht leider auch, dass Werte mißachtet werden und Entwertungen stattfinden. Abgesehen von dem Kampf um die User-Rechte und den technologischen Möglichkeiten Datenschutz zu gewährleisten, geht es in diesem letzten Abschnitt um den fairen Umgang in den sozialen Netzwerken. Was kann jeder einzelne dazu beitragen, dass Werte in den sozialen Netzen gelebt und Entwertungen erkannt und verhindert werden?

Werte sind, wie schon gesagt, Tugenden wie „Fairness, Respekt und Höflichkeit“. Solche Werte kann man nun nicht abfordern oder befehlen. Wer nicht einsieht, warum sie gelebt werden sollten, auch um selbst anständig behandelt zu werden, wird sich ein Teufel darum scheren – und im schlechtesten Fall selbst Nachteile davon haben.

Werte können nur dann gelebt und geachtet werden, wenn Menschen sich selbst und andere achten und sich über die Formen des Miteinanders – wenigstens weitgehend – einig sind. „Werte“ sind unverzichtbar, wenn wir nicht dauernd unter einer Stimmung von Angst, Abwehr, Missgunst und Misstrauen leben wollen.

Abgesehen davon: Wie würde das Zusammenleben – gleich auf welcher Ebene – denn aussehen, wenn niemand mehr zuverlässig, respektvoll, fair, fleißig, ordentlich usw. wäre?

Es geht ja nicht nur darum, dass „Tugenden“ abgefordert werden. Jede Tugend, gleich welche, ist verbunden mit Gefühlen und Befindlichkeiten. Wer unhöflich behandelt wird, fühlt sich schlecht. Wer meint, seinen eigenen Ansprüchen, zuverlässig und nett zu sein, nicht zu entsprechen, fühlt sich auch nicht besser. Wer sich mit seinen eigenen Werten nicht verstanden und akzeptiert fühlt, ist verärgert oder gekränkt. (S. ist wichtig, pünktlich zu sein, und M. kommt immer zu spät zum Treffen mit S.!) Sehr viele Konflikte – gleich wo – hängen damit zusammen, dass Menschen unterschiedliche Wertvorstellungen haben und sich deshalb in die Haare kriegen. Die Positionen prallen aufeinander, jeder ist beleidigt und wehrt sich. Dabei ist es gleich, ob es um unterschiedliche politische Ansichten, um Vorlieben und Meinungen, um Sichtweisen oder um unterschiedliche Wahrnehmungen geht. A findet B unmöglich, B ist wütend, fühlt nicht respektiert, findet wiederum A unmöglich usw. Die Gründe für Ablehnung, unfaire Kritik, Angriffe und dergleichen sind sehr vielfältig:

Da gefällt einem ein Satz nicht, da findet man das Gesicht von jemandem unangenehm, da fühlt sich jemand angegriffen, weil er etwas missverstanden hat. Da ist jemand neidisch, weil einem anderen etwas gelingt, was man selbst gern geschafft hätte. Hinter all diesen Kämpfen verbirgt sich sehr oft das große Bedürfnis: respektiert und verstanden zu werden. Das muß nun keineswegs heißen, mit allem und jedem einverstanden zu sein. Faire Kritik, scharfsinnige Argumente und durchdachte kritische Analysen sind mehr als je zuvor notwendig. Aber es ist immer eine Frage, wie dies geschieht. Ein Weg ist: Wir können lernen, zwischen dem Verhalten und dem Menschen an sich zu unterscheiden: Der Mensch kann grundsätzlich respektiert werden, und sein Verhalten und seine Einstellungen können kritisch hinterfragt werden.

Entwertungen vermeiden

Entwertungen kränken immer. Sie irritieren, machen wütend und hilflos oder auch aggressiv. Auf Kränkungen wird unterschiedlich reagiert: man schlägt zurück, schluckt die Kränkung, verdrängt sie, will sie nicht wahrhaben. Auf der persönlichen Ebene ist es nicht einfach, einer hämischen und missachtenden Äußerung in den sozialen Netzwerken entgegenzutreten. Wer sich wehrt, hat keine Garantie, dass dies nützt. Wer sich nicht wehrt, läuft Gefahr, dass die negativen Kommentare kursieren und ein Eigenleben bekommen. Digitale Expertinnen und Experten empfehlen, auf die entwertenden Kommentare gar nicht zu reagieren. Es gibt zudem die Möglichkeit, solche auch zu löschen. Das gilt auch für anonyme Entwertungen.

Einen Weg aus dem Teufelskreis von Entwertungen schlägt der Philosoph Immanuel Kant vor. Einer seiner Kerngedanken läßt sich in einem einfachen Spruch zusammenfassen: „Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füge keinem andern zu.“

  • Wenn Sie nicht gekränkt werden wollen, kränken Sie andere nicht.
  • Wenn Sie anerkannt werden wollen, erkennen Sie andere an.

Anerkennung bedeutet, Respekt voreinander zu haben, dem anderen Rechte zugestehen und seine Wünschen und Bedürfnissen zu akzeptieren. Wer jemanden anerkennt, interessiert sich, ist neugierig und nimmt Anteil.

Anerkennung statt Entwertung

Jedem Menschen – ausnahmslos – ist es wichtig, anerkannt zu werden. Wer anerkannt wird, fühlt sich verstanden, gesehen, ernst genommen und wertgeschätzt. Gegenseitige Anerkennung schafft ein gutes Klima. Auch das kann niemand verordnen, sondern nur wirksam werden mit Einverständnis und durch Einsicht aller.

Wie lernt man Anerkennung? Der erste Schritt dazu ist, sich der eigenen Stärken bewusst zu werden und die eigenen Schwächen zu erkennen und zu akzeptieren. Das ist ein wichtiges Thema in meinem philosophischen Werte-Coaching. Das bedeutet auch, sich von der Vorstellung zu befreien, perfekt sein zu müssen und keine Fehler machen zu dürfen. Kein Mensch ist – gott sei Dank – perfekt. Und Fehler sind keine Zeichen von Schwäche, sondern durch Fehler lernen wir. Wer sich bemüht, die Stärken eines anderen Menschen zu erkennen, hat es viel leichter, ihn anzuerkennen. Es gibt keinen Menschen, der keine Stärken hat. Faire Kritik ist genauso eine Form der Anerkennung wie ein authentisches Lob. Abgesehen von diesen individuellen Möglichkeiten, respektvoll im Internet miteinander umzugehen, könnte ein freiwilliges übernational akzeptiertes Regelsystem sein.

Der Social-Media-Experte Ibrahim Evsan plädiert in diesem Sinne für eine Datenethik. Dazu gehört mehreres: 1. Regeln für einen fairen Umgang. 2. Aufklärung über die komplexen rechtlichen Sachverhalte in Sachen Datenschutz. 3. Informationen über die technologischen Möglichkeiten, die den Usern Datenschutz und Datensicherheit bieten. Die Ethik als philosophische Disziplin bringt allerdings immer ein Problem mit sich. In der Ethik wird ein moralisch verantwortliches Handeln gefordert und begründet. Ethik ist wie eine Art Orientierungsdisziplin. Nicht mehr und nicht weniger. Was aber soll geschehen, wenn sich keiner (oder zu wenige) an „Ethik“ orientieren? Tritt dann der vielzitierte „Werteverfall“ ein? Wer hält sich an Regeln, wenn die Regelverletzung nicht sanktioniert wird? Und welche „Strafen“ sollte es geben – unabhängig von denen, die juristisch veritabel sind?

Eines jedoch ist sicher wie das Amen in der Kirche: Jede Entwertung, gleich auf welcher der drei Ebenen sie stattfindet (persönlich, anonym oder durch und im System selbst) hat Auswirkungen: auf die eigene Befindlichkeit, auf die Stimmungen und Atmosphären in Gruppen oder in der Gesellschaft und in unserem gesamten politischen System.

Insofern sind Werte alles andere als abstrakt. Wer mit Werten bewusst lebt, kann es vermeiden, sich und andere zu entwerten. Das wird nie ganz gelingen, aber ist ein trotzdem ein Ziel, das sich lohnt. So könnte Anerkennung zum ethischen Prinzip werden. Das kann nicht verordnet werden, sondern dies kann nur jede/jeder für sich selbst entscheiden. Oder wie es der Psychologe und Unternehmensberater Prof. Dr. Peter Kruse sinngemäß einmal formulierte: Wenn Menschen etwas einsehen, können sie auch etwas ändern.

(1) Mehtap Evsan, Lilly Stock, Prof. Dr. Manfred Stock und Prof. Dr. Dieter Flader verdanke ich wertvolle Kommentare und sachkundige Hinweise für diesen Beitrag.
(2) Der Begriff „digitale Systeme“, den ich schon mehrfach in meinen Beiträgen verwendet habe, umfasst das informationstechnische System und die sozialen Netzwerke.